13.06.2025
Findus 18+
Manchmal passieren merkwürdige Dinge in der russischen Bücherwelt. Der Verlag „Weiße Krähe“ hat eine Rückrufaktion der Kinderbuchreihe „Pettersson und Findus“ angekündigt, alle Bücher dieser Reihe dürfen ab sofort nicht mehr verkauft werden. Die Buchhändler und Bibliotheken müssen sie aus dem Regal nehmen. Kann das wahr sein? Ja, es werden in heutigem Russland Bücher verboten, solche mit politischen Inhalten, mit Kritik am Regime, von den ausgereisten Schriftstellern, die den Status „unerwünschter Personen“ oder „Agenten des ausländischen Einflusses“ vom Justizministerium bekommen haben, sowie Bücher, in denen „nichttraditionelle Partnerschaftsformen“ beschrieben werden. „Propaganda für Homosexualität“ und „Verschmähung der traditionellen russischen Werte“ wird unter Strafe gestellt. Aber Findus und Pettersson? Wie kamen sie auf die Liste der verbotenen Literatur? Die Abenteuer des alten Schweden und seines launischen Kätzchens sind in Russland sehr beliebt, gefühlt in waren diese Bücher in jeder Hausbibliothek vorhanden, in jeder Familie, die Kinder hat. Verstößt etwa die enge Beziehung zwischen Petterson und Findus auch gegen die traditionellen russischen Werte? Und weiß jemand, was diese Werte genau sind? Damit tun sich die Russen zur Zeit schwer. In seiner neuen Rolle als „eigenständige Zivilisation“ und „eine souveräne russische Welt“ übt das Land erst zu laufen, manchmal hat man das Gefühl, der Schuh ist zu groß.
Der unfehlbare Staatsmann, der Herrscher und Hüter dieser „Zivilisation“, der das russische Volk wie kein anderer versteht, sitzt ganz oben und redet nicht viel. Ab und zu sagt er etwas über die Wichtigkeit der traditionellen Werte, aber er geht nicht ins Detail. Gleichzeitig ist er als eine leicht reizbare und nachtragende Person bekannt. Unter ihm leben Menschen, deren Aufgabe es ist, den Herrscher nicht traurig zu machen. Die Kommunikation zwischen dem Staat und der Bevölkerung funktioniert nach dem 3 G-Prinzip: Geld, Gewalt und Gesang. Die unzähligen Geheim- und Sicherheitsdienste sorgen dafür, dass niemand ungestraft bleibt, der eventuell etwas im Schilde führen könnte. Für Loyalität wird gezahlt, die Aufgabe der Kultur ist es, dieses neue Russland zu besingen, mit der Botschaft: Noch nie und nirgends war das Leben so schön und die Menschen so glücklich, wie in der russischen Welt der traditionellen Werte. Das Problem ist, eine genaue Beschreibung dieser Werte fehlt, die Liste der unerwünschten Personen, Extremisten und verbotenen Büchern wird Woche für Woche länger.
Die Bürokratie des russischen Staates muss auf eigene Gefahr handeln, um die Vorstellungen des Chefs umzusetzen, die wahrscheinlich nicht einmal der Chef selbst kennt. Wie jede Bürokratie handelt die russische nach dem Prinzip „übertriebene Vorsicht ist besser als Nachsicht“ Für ein Verbot zu viel wird man nicht bestraft, während die Nachlässigkeit gefährlich sein könnte. Mit Rage werden in Russland Dinge bekämpft, die leicht zu bekämpfen sind. Filme oder Theaterinszenierungen lassen sich zum Beispiel leicht verbieten. Sie werden einfach nicht gezeigt. Dasselbe gilt für Menschen, die sich zu Fragen äußern wollen, die sich nichts angehen: Politik, Wirtschaft, Krieg in der Ukraine, Child free und die sog. „nichttraditionellen Liebesformen“. Doch die Gesetze sind lasch formuliert, jede Äußerung oder auch Schweigen könnte als Propaganda für Homosexualität gedeutet werden und die besorgten Bürger schlafen nicht. Es wird denunziert, Clubs mit einem falschen Programm werden geschlossen, Galerien kaputt geschlagen.
Schwieriger wird es, wenn es um Bücher geht. Die Bücher werden nach wie vor millionenfach in Russland gedruckt, es sind sehr viele Buchstaben und nicht einmal der Chef persönlich weiß, was in all diesen Büchern steht. Letzten Endes wird im Verlagswesen auf die Selbstzensur gesetzt, schließlich schützt Unwissenheit nicht vor Strafe. Die Verlage müssen selbst handeln und ihre Produktion mit wachen Augen durchlesen. Sollten sich besorgte Bürger jemals beschweren, sind die Verleger nämlich geliefert. Und die Leser? Im Internet kursieren Gebrauchsanweisungen für Leser der verbotenen Literatur, sorgfältig von Juristen zusammengefasst, es verhält sich nämlich mit der verbotenen Literatur in Russland wie mit dem Cannabisrauchen in Deutschland, erzeugen und verbreiten ist strafbar konsumieren erlaubt. Oder doch nicht? Kann das Lesen bzw. Vorlesen eines verbotenen Buches als Propaganda für Homosexualität gedeutet werden? Ja, sagen die Juristen und empfehlen, die Bücher mit unsicherem Inhalt gut zu verpacken, am besten in eine patriotische Zeitung einwickeln und im öffentlichen Verkehr aufpassen, dass keiner dir über die Schulter in deinem Buch mitliest. Es ist allerdings nicht immer leicht herauszufinden, welche Literatur schon verboten ist oder noch auf dem Weg dahin. Es existiert zwar eine Liste der verbotenen Literatur, die Bücher mit politischem Inhalt, von den Regimegegnern verfasste Werke sind auf dem Index, sowie Literatur, die sich eine Beschreibung nichttraditioneller Werte erlaubt, doch damit ist das Problem nicht gelöst. Findus und Petterson sind zum Beispiel nicht verboten. Man darf sie aber trotzdem nicht verkaufen. Was ist passiert? Die Übersetzerin der Kinderbuchreihe war nebenberuflich politisch aktiv, sie arbeitete für „Memorial“, eine in Russland verbotene Menschenrechtsorganisation, verließ das Land nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine und wurde nun als unerwünschte Extremistin eigestuft. Weil ihr Name auf dem Cover steht, darf das Buch laut der neuen Gesetzgebung nur in schwarzes Papier gewickelt mit der Bezeichnung 18 + in den Regalen ausliegen. Der Kauf eines solchen Buches kann unter Umständen als politisch motivierte Tat gedeutet werden. Was hat der Verlag nun vor? Ich denke, sie wollen die Bücher jetzt ohne den Namen der Übersetzerin neu drucken. Ob das hilft, weiß man nicht.